An meinem liebsten Hobby, dem Pen and Paper Rollenspiel, schätzte ich seit jeher, dass ich mich abseits des digitalen Konsumangebots mit Freunden, Bekannten, und/oder anderen Hobbyisten in Ruhe zusammensetzen konnte, um sich in wohliger Runde gemeinsam ins Abenteuer zu stürzen. Gelebte Fantasie, ausdrucksstarke Emotionen, knisternde Spannung und schicksalsträchtige Würfelwürfe ließen mich den Alltag für die Dauer unserer Spielsitzung verblassen. Doch in Zeiten weitgehender Ausgangsbeschränkungen darf oder muss mehr den je auf digitale Alternativen zurückgegriffen werden, die ich zuvor so konsequent zu vermeiden versuchte. Aber ist es die Mühe auch wert?

 

Sprach- und/oder Videochat

DiscordDoch bevor ich mit meinen altgedienten oder neuen Kameraden in den finsteren Verließen von Rh’ick-Uol um mein Leben kämpfe oder mit meiner Teeny-Gang in Boulder City dem Geheimnis eines Sommers auf die Schliche komme, muss meine Truppe aber erst einmal unter einem gemeinsamen Banner in Sachen Kommunikation versammelt werden. Für den Sprachchat empfehle ich neben einem brauchbaren Mikrofon (Headset oder notfalls Webcam) vor allem die Programme Discord oder Teamspeak.

Das inzwischen äußerst beliebte und weit verbreitete Discord hat den Vorteil, dass man sich lediglich mittels eigenem Account auf der Homepage oder über den installierten Client einwählt, seine gewünschten Gesprächsteilnehmer zur Freundesliste hinzufügt und loslegt. Einen Videostream (via Webcam) gibt es noch oben drauf. Tatsächlich denkbar einfach. Und für den Fall, dass die Freundesliste mal nicht mit Aktivität glänzt, stellt unser Verein sogar einen eigenen Server bereit. Alternativ wäre mit Fokus auf Rollenspiel der Server der MainWürfelCon-Orga von Zeit zu Zeit einen Blick wert. Wehrmutstropfen an Discord ist lediglich, dass es euren Computern einiges an Rechenleistung abverlangt und tendenziell mit älteren Modellen so seine Problemchen hat. Jedoch ist es nichts, was sich nicht mit etwas Übung lösen ließe.

Das inzwischen nicht mehr ganz so präsente Teamspeak ist dagegen langjährig erprobt und dank schlichterem Design vergleichsweise ressourcenschonend, bietet aber auch keine zusätzlichen Features. Unglücklicherweise bedarf es für seine Nutzung einen separaten Online-Server für Chaträume und Co, den auch irgendwer stellen bzw. bezahlen muss. Frei zugängliche Server gibt es natürlich ebenfalls, doch fürchte ich hier immer ein wenig um meine Privatsphäre. Daher inzwischen nicht immer meine erste Wahl.

 

Virtuelle Spielumgebungen

Roll20Sobald ich nun die stimmungsvolle Ansprache meiner Kameraden oder zumindest das nervige Rascheln irgendeiner Chips-Tüte von irgendwoher vernehme, könnten wir uns eigentlich schon verbal durch das düstere Verließ schlagen oder die Nachbarschaft unseres verträumten Städtchens unsicher machen. Doch allzu gern mag ich auf Stimmungsbilder, Handouts, Battlemaps oder vielleicht sogar automatisierte Charakterbögen nicht verzichten, tragen sie doch nicht selten – je nach Spielstil – zur Atmosphäre oder zur Koordination der Spielercharaktere erheblich bei. Gute Erfahrungen habe ich dahingehend mit Roll20 gemacht. In seiner kostenlosen Grundausstattung bietet die Online-Anwendung ausreichend viele Funktionen für Kartenablagen, Handouts und Hintergrudnmusik. Zusätzliche Features wie Grafik-Assets oder Dungeon Tiles können für kleines Geld dazugekauft werden. Da ich zumeist jedoch mein eigenes Material nutze, komme ich bisher ganz gut ohne zusätzliche Investitionen aus.

Wer es gerne opulenter mag, jedes Gimmick bis zum Anschlag ausreizen möchte und vielleicht auf bereits implementierte Regelsysteme oder dazugehörige Abenteuer zurückgreifen möchte, dem sei Fantasy Grounds oder DnD Beyond empfohlen. Beide Tools haben deutlich mehr zu bieten als Roll20, sind aber schon in ihrer Basisausstattung Abo-pflichtig. Daher nix für mich.

  

Mittendrin statt nur dabei

Nachdem wir uns alle in das auf Roll20 erstelle Szenario eingeloggt haben und alle anderen soundspezifischen Probleme beheben konnten, geht es endlich los. Feuer frei! BÄM BÄM!

Und so begab ich mich in unserer Runde Things from the Flood schon bald mit meinem 16-jährigen Alter Ego Brillenschlange Bill, einem abgebrochenen Außenseiter unter den Kids der 90er, mit seinen... naja... Fast-Freunden und der bezaubernden Kathy auf Spurensuche, um am Rand der Sperrzone den von der Regierung vertuschten Machenschaften einen Riegel vorzuschieben oder wahlweise Kathy irgendwie zu imponieren. Da unsere Gruppe dank ausladendem Beziehungsgeflecht ihrer Charaktere sehr viel Wert auf darstellendes Spiel mit umfangreicher Mimik und Gestik legte, profitierten wir einander sehr vom Gebrauch unserer WebCams. Über Roll20 wurde dann mit Bild- und Kartenmaterial sowie Charakterbögen ergänzt. Da es für mich mit nur einem Screen schnell etwas unübersichtlich wurde, konzentrierte ich mich während der Spielsitzungen vor allem auf den Videochat. Weil das System eher wenig Gewürfle und keine Battlemaps abverlangt, klappte das super.

Wenige Tage später stieg ich dann als Spielleiter in den Online-Ring, um meine ahnungslosen Mitspieler in Dungeon Crawl Classics durch ein gefährliches Verließ zu peitschen. Hierfür hatte ich auf Roll20 (siehe Bild oben) mit viel Fleiß eine umfangreiche Spielsetzung erstellt: (selbst gezeichneter,) mehr-etagiger Dungeon in akribischer Detailarbeit, Handouts, Hintergrundmusik, Tokens für Spielercharaktere und Gegner, Wertetabellen und Regelzusammenfassungen zum Selber-Nachschlagen. Obgleich ich geplant hatte, mich für die Erkundung des Dungeons mit seinen sukzessiv aufdeckbaren Bereichen zu konzentrieren, endete ich doch wieder im Videochat, weil mir die Interaktion mit meinen Spielern doch wichtiger war, als nur den vermeintlichen Fortschritt der Spielerschaft auf der Battlemap zu kommentieren. Aber auch das funktionierte zusammen ganz gut.

 

 

Fazit

Wenngleich ich eine Tischrunde immer noch jederzeit dem Online-Spiel vorziehen würde, war ich doch positiv angetan, dass gerade mittels Videochat visualisierte Mimik und Gestik sowie damit einhergehende Emotionen und Stimmungen nicht in Gänze ihre Wirkung verlieren. Zusätzlich lassen sich mit Roll20 und vergleichbaren Tools tolle Battlemaps erstellen oder zumindest implementieren, deren Handhabe online sogar noch mehr Komfort ermöglicht als offline. Gerade für Strategen eine feine Sache.

Die Gruppenkommunikation funktioniert über Discord halbwegs gut. Zuweilen haben Leute Aussetzer, was meist mit der Überreizung der ihnen zur Verfügung stehenden Bandbreite zu tun hat. Ernsthafte Probleme hatte ich bisher nur mit Einzelpersonen, die leider – aus Gründen – nicht in der Lage waren, ihre eigene Hard- oder Software soweit in Schuss zu halten, dass sie fehlerlos funktioniert. Zuweilen verursachten sogar Software-Updates vorrübergehend Inkompatibilitäten. Das ist dann supernervig, zumal man auf Distanz leider auch nicht großartig helfen kann.

Insgesamt empfinde ich das Online-Spiel als durchaus brauchbare Alternative, um seinen Bekanntenkreis zu erweitern und so auch mal bei Spielsystemen mitzuspielen, die regional nur selten oder gar nicht angeboten werden. Nichtsdestotrotz freue mich schon darauf, wieder an meine realen Spieltische zurückzukehren.

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